Diskordanz am Siccar Point

Auf den Spuren von James Hutton: Die an der schottischen Küste aufgeschlossene Grenzfläche zwischen unterschiedlich alten Gesteinen spielte in der Geschichte der Geologie eine entscheidende Rolle.

Diskordanz am Siccar Point: Steilgestellte Grauwachen und Tonsteine (vorne rechts), darüber relativ flach liegende etwas jüngere Sandsteine (hinten links).

Der wohl (historisch) wichtigste Aufschluss der Geologie befindet sich an der Küste ca. 40 Meilen östlich von Edinburgh. 1788, zu einer Zeit, als es die Geologie als eigenständige Wissenschaft noch nicht gab und kaum jemand die gängige Lehre anzweifelte, dass die Erde — der Schöpfungsgeschichte in der Bibel entsprechend — nur 6000 Jahre alt sei, fuhr James Hutton mit seinen Freunden in einem Boot die Küste entlang. Er suchte die Grenze zwischen zwei sehr unterschiedlichen Gesteinseinheiten: Zwischen den roten Sandsteinen (Oberdevon)  im Norden und den Grauwacken und Tonsteinen (Silur),  die weiter südlich in den Hügeln der Scottish Borders bekannt waren. Er fand sie am Siccar Point, so schön aufgeschlossen, dass man die geologischen Prozesse im Verlauf der Zeit regelrecht sehen kann. Auch in heutigen Lehrbüchern werden Fotos davon gerne abgedruckt.

Eine Diskordanz (engl. unconformity) ist eine Grenzfläche, an der Gesteinsschichten in einem Winkel aufeinander stoßen (Winkeldiskordanz, im weiten Sinn wird auch eine durch fehlende Sedimentation oder Erosion erzeugte sog. Schichtlücke zwischen parallelen Schichten als Diskordanz bezeichnet). Zuerst wurden die unteren Einheiten im Meer flach abgelagert, dann hörte die Sedimentation auf, die Gesteine wurden verfaltet, über den Meeresspiegel gehoben und erodiert, und erst nach einer längeren Zeitspanne wurden die oberen Sedimente mehr oder weniger flach darüber abgelagert. In jüngerer Zeit hat die Erosion durch das Meer die Grenze teilweise wieder freipräpariert. Hier ist also regelrecht der sogenannte „Kreislauf der Gesteine“ zu sehen, eine Vorstellung, die Hutton entwickelte.

Die unteren Gesteine sind ca. 435 Mio. Jahre alt (Silur). Es handelt sich um Grauwacken und dünne Tonsteinlagen, die im „Ur-Atlantik“ Iapetus abgelagert wurden.

Grauwacke ist eine Art Sandstein, der neben Quarz auch Feldspat, ganze Gesteinsbruchstücke und evtl. weitere Minerale enthält. Sie entsteht in tiefen küstennahen Meeresbecken, die einem Gebirge vorgelagert sind (man denke an Neuseeland oder die Anden). Das Verwitterungsmaterial wird zunächst vor Flussmündungen abgelagert und rutscht dann immer wieder als Trübestrom in die Tiefsee ab. Bis zum nächsten Trübestrom folgt darüber langsame, ruhige Sedimentation von Tonpartikeln.

Warum die Grauwacken verfaltet, gehoben und erodiert wurden, konnte Hutton noch nicht wissen, schließlich wurde die Theorie der Plattentektonik erst wesentlich später entwickelt. Der Ozean Iapetus schloss sich, die Kontinente Laurentia (heute Nordamerika und Grönland), Avalonia (ein Bruchstück von Gondwana, heute England, Nordsee, Norddeutschland) und Baltica (heute Baltikum und Schweden) kollidierten miteinander (siehe auch mein Buch Bewegte Bergwelt) und es entstand der Kontinent Laurussia (auch Old-Red-Kontinent genannt), mit dem Kaledonischen Gebirge an der Naht (heute Appalachen, Schottland, Norwegen, Grönland). Die großen Falten sind in der Steilküste mit Blick nach Osten deutlich zu sehen, die steilstehenden Schichten am Siccar Point sind Teil eines Faltenschenkels.

Paläorelief: Am Steilhang hinter Siccar Point verläuft die Diskordanz weiter oben.

Die Pause der Sedimentation beträgt am Siccar Point 65 Mio. Jahre. Die Old-Red-Sandsteine oberhalb der Diskordanz wurden vor 370 Mio. Jahren (Oberdevon) nicht im Meer (wie Hutton glaubte), sondern an Land in einem tropischen Klima abgelagert, durch Flüsse und z. T. vom Wind zu Dünen umgelagert. Interessant ist die unregelmäßige Form der Diskordanz, z. B. verläuft sie in der Steilküste über dem Siccar Point (neben dem steilen Grashang) deutlich höher. Hier sehen wir tatsächlich das Paläorelief, zu dem Zeitpunkt, als die Sedimentation wieder einsetzte. In den tieferen Bereichen (den Tälern) lagerte sich zunächst ein Konglomerat ab, dessen grobe Komponenten noch von den Grauwacken stammen (ein sogenanntes Basiskonglomerat).  Später wird nur noch Sand geliefert (d. h. das Liefergebiet sind weiter entfernte Reste des teilweise erodierten Kaledonischen Gebirges), das Relief wird überdeckt und die Sedimentation ist relativ eben.

Basiskonglomerat am Siccar Point

Seither wurde das ganze noch leicht verkippt und teilweise wieder freigelegt. In diese lange Zeitspanne fällt die variszische Gebirgsbildung (Kollision von Laurussia und Gondwana und Bildung des Superkontinents Pangäa), der Zerfall der Pangäa mit Bildung des Atlantiks und schließlich die alpine Gebirgsbildung etwas weiter im Süden (Alpen etc.).

James Hutton hatte eigentlich Chemie und Medizin studiert, beschäftigte sich dann aber erst mal auf seiner Farm mit der Modernisierung der Landwirtschaft.  Die unterschiedlich fruchbaren Böden über verschiedenen Gesteinen und Probleme mit Denudation (Bodenerosion) brachten ihn dazu, sich mit Geologie zu beschäftigen. Er untersuchte Bergwerke in England und Wales und begleitete den Kanalbau zwischen Firth of Forth (bei Edinburgh) und Firth of Clyde (bei Glasgow). Er ging davon aus, dass heutige geologische Prozesse ähnlich in der Vergangenheit abliefen und entwickelte langsam die Vorstellung eines Kreislaufes von wiederholter Ablagerung und Erosion.

Auf die erste Diskordanz der Geologiegeschichte stieß er 1787 auf der Insel Arran, eine zweite fand er im selben Jahr bei Jedburgh. Im Jahr darauf stieß er auf den Siccar Point. Er hatte bereits so viel Erfahrung, dass er die richtigen Schlüsse zog. Besonders wichtig war die Erkenntnis, welche enormen Zeiträume dieser Aufschluss zeigt. Die aus der Bibel abgeleitete Erdgeschichte war nicht mehr haltbar. Sein Begleiter John Playfair schrieb später: „The mind seemed to grow giddy by looking so far into the abyss of time“.

James Hutton war neben dem zeitgleich in Freiberg tätigen Abraham Gottlob Werner einer der beiden „Gründerväter“ der Geologie als Wissenschaft (wobei Mineralogie und Bergbaulehre deutlich älter sind). Übrigens erkannte Hutton auch, dass Granit und Basalt magmatische Gesteine sind, während Werner diese für Ablagerungen aus einem Meer hielt — der Streit zwischen „Plutonisten“ und „Neptunisten“ begann.

Anfahrt

Von Edinburgh auf der A1 Richtung Osten. Kurz nach Cockburnspath nach links auf die A1107 Richtung Coldingham abbiegen. Nach einer schmalen Brücke links Richtung Pease Bay abbiegen. Kurz darauf biegt das „Hauptsträßchen“ nach Pease Bay links ab, wir fahren geradeaus (Schild zu einem Agrarindustriebetrieb). Wenig später ist links der Parkplatz für den Siccar Point mit Hinweisschildern.

Nun geht man auf einem Pfad die Küste entlang bis zur Kante der Steilküste oberhalb des Siccar Points. Auf einem sehr steilen Grashang führt ein unangenehm rutschiger Pfad abwärts, wobei man sich an einem Fixseil festhalten kann. Mit großer Wahrscheinlichkeit trifft man hier auf Geologen, die an diese Stelle pilgern. Andere Menschen verirren sich eher selten hier her, obwohl es sich um einen sehr hübschen Ort handelt.

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