Blog

Kaukasischer Kreidekreis: Krieg in Georgien

Krieg war im Kaukasus in den letzten Jahrtausenden fast der Normalzustand, man sollte meinen, sie wüssten gut genug, was Krieg bedeutet. An der gebirgigen Grenze zwischen Europa und Asien, Christentum und Islam verschoben sich ununterbrochen die Grenzen, zogen plündernde Reiterhorden vorbei und trugen die angrenzenden großen Reiche, die Perser und Türken, Byzantiner, Araber und Russen ihre Schlachten aus. Vielleicht ist der Krieg aber auch allzu sehr zur Gewohnheit geworden? Kaukasier, so verschieden sie sind, haben die Gemeinsamkeit, dass sie gerne und mit patriotischem Pathos auf die Größe ihres Landes vor zig hunderten von Jahren verweisen und größenwahnsinnig meinen, auf Georgiens goldenes Mittelalter im 12. Jh. und noch früher die Glanzzeit Armeniens. Eigentlich gehöre die halbe Türkei, ein Stück Russland und ein Viertel der anderen beiden Kaukasusländer zu ihnen. Das geht so weit, dass ich sowohl von Armeniern als auch von einer Georgierin höre, Kappadokien sei Armenien bzw. Georgien. Dort lebten zwar viele Armenier, die vor den Arabern geflohen waren, aber unter byzantinischer Herrschaft… Auch Georgien hat es nie so weit geschafft, auch nicht unter Königin Tamar.

Aber so ein Krieg ist ja auch praktisch, um innenpolitische Probleme loszuwerden. Georgien müsse jetzt zusammen stehen, sagt der hitzköpfige Präsident Saakaschwili, der sich noch bei den Wahlen nach den Massendemonstrationen im Dezember anscheinend nur mit Wahlfälschung an der Macht halten konnte. Und siehe da, sie stehen zusammen, es gibt nur noch Patrioten. „Wir haben die bessere Strategie“, erzählt mir ein Jugendlicher mit wuscheligem Haarschopf am zweiten Kriegstag, „und die russischen Piloten sind doch alle betrunken.“ (die georgischen nicht?) Ein paar Tage später sehe ich immer mehr verweinte Gesichter, die Eroberung der abtrünnigen Provinz war doch nicht nur ein kurzer Wochenendspaziergang. Man vergleicht Putin mit Hitler, redet von David gegen Goliath und schiebt alle Schuld auf Russland, das provoziert habe. Provoziert haben jedoch beide Seiten seit Monaten, vermutlich wollten beide den Krieg.

Und die Nachbarn? Armenien hat gute Beziehungen zu Russland, den USA und dem Iran. Eine erstaunliche Mischung! Fällt hingegen nur das Wort „Türkei“, provoziert man schnell emotionale Ausbrüche. Es ist aber auch eine Schande, dass die Türkei den Genozid an den Armeniern während des 1. Weltkrieges noch immer leugnet. Das armenische Gebiet lag davor rund um den Ararat, zwischen Vansee und Sevan, teils unter russischer, teils unter osmanischer Herrschaft. Entsprechend bezeichnen die Armenier die Gegend um Van, heute in der Türkei, als Westarmenien. Um die Sache zu verkomplizieren, beanspruchen die Kurden das Gebiet für Kurdistan… Mit der Demokratie steht es in Armenien ähnlich wie in Georgien, die letzte Wahl hatte wohl mehr Unregelmäßigkeiten als Regelmäßigkeiten, eigentlich sollte eine andere Oligarchie an der Macht sein…

In Aserbaidschan ist das alles einfacher, denn dort gibt es einfach keine Opposition. Wir erlebten in Baku einen Feiertag, an dem mit Feuerwerk nichts Geringeres als die messianische Rückkehr von Heydar Aliyev gefeiert wurde. Dieser lenkte seit Ende der 60er Jahre bis zu seinem Tod die Geschicke von Aserbaidschan, erst als Präsident der Sowjetrepublik und lokaler KGB Chef. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war er erstmal im Exil in Moskau, doch wenig später nahm er die Zügel wieder in die Hand, rettete das im Chaos versinkende Land durch einen Waffenstillstand im Krieg um Karabach und holte ausländische Ölfirmen ins Land. Das verlorene Karabach bleibt allerdings das nationale Trauma (Armenier bestehen hingegen darauf, Karabach sei schon immer armenisch gewesen…). Sein Sohn Ilham Aliyev übernahm das Amt, wuchtig wie ein Walross, komplett mit Schnurrbart. Beide sind in jeder Ecke des Landes auf überdimensionierten Plakaten zu sehen, mit dem breiten Lächeln eines Teppichhändlers. Vermutlich muss man der Dynastie Aliyev zugutehalten, den lachenden Diktator erfunden zu haben. Im Falle Aserbaidschan wird allerdings der nationale Mythos erst so langsam erfunden, das Khanat Shirvan war mehr oder weniger ein Anhängsel von Persien und für Iraner ist Aserbaidschan in erster Linie eine Provinz im Norden des Iran. Aus dieser, aus Ardabil, stammt die Safavid Dynastie, der wir unter anderem die Moscheen von Isfahan zu verdanken haben. Auf diese beruft sich ein Azeri, als er zu mir meint, Aserbaidschan sei einmal ein großes und mächtiges Reich gewesen…


Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Borjomi und Vardzia

Wanderung im Borjomi-Kharagauli Nationalpark und Höhlenklöster in Vardzia

Borjomi-Nationalpark
Borjomi-Nationalpark

Aus Borjomi im Kleinen Kaukasus kommt natürlich das berühmte Sodawasser, das nicht nur gesund macht, sondern auch noch hübsch. Interessanter ist allerdings der Borjomi-Kharagauli-Nationalpark. Fichtenwälder auf geschwungenen Bergen, fast wie im Schwarzwald. In höheren Lagen dann vereinzelte Kiefern auf Wiesen. Ich bin etwas enttäuscht, auf dem höchsten Punkt meiner Zweitageswanderung auf eine Alm mit Kühen zu treffen, komisches Konzept eines Nationalparks, aber vor allem der Abstieg (Trail Nr. 6) bot doch einige tolle Ausblicke, die mich wieder versöhnen. Leider scheint der Wald gerade (eine Woche später) einem Waldbrand zum Opfer zu fallen!

Vardzia
Vardzia

Bevor ich über einen kleinen Grenzübergang in die Türkei weiterreise, mache ich einen Abstecher nach Vardzia. In einer Schlucht, die in das trockene Ostanatolische Plateau schneidet, findet sich ein spektakuläres Höhlenkloster, das Mitten in einer Felswand über dem Fluss in den Tuff gegraben wurde. Es hatte die Ausmaße einer Stadt mit über 6000 Räumen.

Vardzia
Vardzia

Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Kriegsbeginn

Trouble um Südossetien

Auf der Fahrt von Kutaissi nach Borjomi war deutlich zu sehen, dass hier etwas passiert: endlose Militärkonvois und am Straßenrand winkende Menschenmassen, die den Soldaten zujubeln. So sieht es also aus, wenn ein Krieg beginnt. Heute Morgen ist Georgien in die abtrünnige Provinz Südossetien einmarschiert, Russland verteidigt diese. Ein Grüppchen Touristen, das aus Tiflis hierher gekommen ist, zeigt mir aus dem Busfenster in der Nähe von Gori aufgenommene Bilder von explodierenden Bomben und in Stellung gehende Soldaten…

Hier in Borjomi ist von all dem nichts zu spüren. Die Grenze zur Türkei ist in angenehmer Nähe….


Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Und noch ein Toast…

Trinken in Georgien

Es wird Zeit, dass ich in ein Land weiterreise, in dem Alkohol nicht dermaßen ein Teil der Alltagskultur ist wie in Georgien. In meinem Homestay in Kutaissi gieße ich Wein aus Trinkhörnern in mich hinein, unsere Arme ineinander verschränkt und danach Schmatzer auf die Wange. Freundschaft für immer und so weiter, ein Toast auf den Weltfrieden… Ich vermute, dass hier fast jeder Abend zu so einem Gelage wird.

In Batumi wollten wir einfach nur Frühstücken und setzten uns in einen schicken Jugendstil-Pavillon, der Mitten auf dem grünen Hauptplatz steht. Drinnen saßen einige Männer, die wie Seemänner oder Proletarier aussahen, beim Bier. Noch bevor unser Kaffee kam, standen zwei vom Nachbartisch ausgegebene Bierhumpen vor uns. Guten Morgen….


Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Swanetien

Wilde Bergdörfer in Georgien: Radtour von Mestia zu den Wehrtürmen in Ushguli und eine Wanderung zum Aussichtspunkt Coruldi-Rücken mit Blick auf den Ushba

Ushguli
Ushguli

Swanetien ist eine wilde, abgelegene Bergregion im Kaukasus. Phantastische mittelalterliche Bergdörfer ducken sich unter weißen Bergen mit Gipfeln zwischen vier- und fünftausend Metern. Zu fast jedem Haus gehört ein wehrhafter Turm, ein Anblick, bei dem fast die Erinnerung an San Gimignano verblasst. Diese Region hat immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt, egal wer den Rest von Georgien beherrschte. Noch vor wenigen Jahren waren Entführungen hier so eine Art Volksport, aber nun gilt sie als sicher und die Touristen sind zurück.

Chalati-Gletscher bei Mestia
Chalati-Gletscher bei Mestia

Allein schon hier herzukommen war ein Abenteuer für sich. Erstmal der Nachtzug nach Zugdidi. In diesem war es so heiß, dass, selbst wenn ich ruhig da lag, der Schweiß nur so aus meinen Poren floss. Entsprechend gut habe ich geschlafen. Dann 5 Stunden im Minibus auf der kurvigen, Schlagloch-übersäten Straße nach Mestia. Unterwegs hielt der Fahrer für ein Frühstück, er gab eine Runde Khajapuri aus und stellte dazu eine 2 l Flasche Bier auf dem Tisch. Ich versuchte mich wie alle anderen zu wehren, aber bei mir als Deutschem half alles Argumentieren nicht, also trank ich zwei Gläser mit. Besser, als wenn der Fahrer meinen Teil trinkt, dachte ich, aber er kam bald darauf mit der zweiten 2 l Flasche an… Ziemlich rasant kurvten wir darauf hin weiter. Ich war nicht nur angetrunken, sondern hundemüde. Ständig nickte ich ein, bis mich das nächste Schlagloch auffahren ließ und mein Blick in die Schlucht tief unter uns fiel. Ich war verdammt froh, als wir ankamen.

Ushguli
Ushguli

Das abgelegene Ushguli ist das malerischste und bekannteste der Bergdörfer Swanetiens. Ich wählte ein Mountainbike, um hier herzukommen, mit dem ich durch abwechslungsreiche Landschaft und hin und wieder durch weitere hübsche Dörfer fahre. Die Straße ist schlecht genug, um niemals langweilig zu werden, der Regen der letzten Tage hat sie stellenweise zu einem Schlammpfuhl aufgeweicht.

Ushguli
Ushguli

In Ushguli drängen sich die Türme dicht an dicht vor der Kulisse der höchsten Berge Georgiens. Abends sind die aufgeweichten, matschigen Gassen voller Kühe, die zum Melken anstehen. Ich balanciere von Stein zu Stein und komme an einigen Männern vorbei, die im Kreis stehen und abwechselnd Wein trinken und mehrstimmig singen. Ehe ich mich versehe, stehe auch ich mit einem Glas in der Hand im Kreis und höre zu.

102_9355

Eine Überraschung wartete auf dem Rückweg an einem der zu durchquerenden Flüsse. Das Wasser war nicht höher als auf dem Weg hinauf, aber die Fahrspur war verschwunden, der Fluss hatte Wälle aus Schiefermassen aufgeschüttet und neue Gräben gegraben. Es sah aus als sei hier noch nie ein Fahrzeug vorbeigekommen. Der Fluss war schnell durchquert, nur dummerweise war die Straße von hier abwärts eine einzige Katastrophe: durch den schweren Regen der vergangenen Nacht hat sich ein Schlammstrom gebildet, hundert Meter weit knietiefer Matsch. Ich musste mein Rad auf die Schulter nehmen und mich die Böschung hinauf kämpfen, um vorbeizukommen. Auf der anderen Seite standen zwei Autos und ein paar ratlose Touristen, da nützt auch kein Jeep mehr…

Ushba vom Coruldirücken
Ushba vom Coruldirücken

Von Mestia wandere ich zu einem lohnenden „kleinen“ Aussichtsberg, immerhin 1900 Höhenmeter. Die meisten Touristen kehren bei ein paar kleinen Tümpeln um, ich wühle mich von hier den Schieferschutt aufwärts zum Coruldirücken. Das letzte Stück ist richtig unangenehm, „Schubladenklettern“ im steilen Schiefer, jeder Griff kommt mir entgegen und jeder Tritt rutscht unter mir weg. Aber die Mühe lohnt sich, kaum in der Nähe des Gipfelkreuzes breitet sich ein herrliches Panorama vor mir aus. Direkt vor mir Uschba, der unerreichbarste Gipfel des Kaukasus, unter mir Gletscherströme von allen Seiten, rechts ein 4000er neben dem anderen.

Gute Wegbeschreibungen gibt es bei svanetitrekking.ge.


 

Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

 

Gori

Stalins Geburtsstadt in Georgien

Georgier machen die Sowjets für alles Mögliche verantwortlich und Statuen von Lenin sind schon lange verschwunden. Ausgerechnet Stalin steht hingegen hier und dort noch auf seinem Sockel. „He might have been a bastard, but he was our bastard“, kommentiert ein anderer Reisender. Die Verehrung für Georgiens „größten Sohn“ nimmt in dessen Geburtsstadt Gori monumentale Formen an. Sein Geburtshaus, eine winzige Hütte, wird von einer Art modernem Tempel überdacht, das protzige Museum dahinter feiert seine Siege gegen die „Weißen“ und gegen Hitler. Feierlich umrundet man darauf hin seine Totenmaske, bevor man die Geschenke von kommunistischen Parteien aus aller Welt bewundert… Grotesk.

102_9005


 

Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Haghpat und Sanahin

Klöster im Norden Armeniens

Haghpat
Haghpat

Die Fahrt von Yerevan zum Sevansee lässt schon erahnen, wie enttäuschend Sevan sein wird. Auf der Strecke reihen sich die Stände aneinander, die Gummireifen und Badeanzüge verkaufen. Entsprechend ist der Strand knallvoll, daneben parkende Autos mit aufgedrehter Stereoanlage und alles verdammt teuer. Die beiden Kirchlein, die am Ende des Strandes auf einem Hügel stehen sind auch nicht so beeindruckend… Vielleicht hätte ich lieber die abgelegeneren Bereiche des Sees erkunden sollen.

Chatschkars in Haghpat
Chatschkars in Haghpat

Etwas weiter liegt Dilijan, eine Art sowjetisches Todtnauberg, mit Wiesen, bewaldeten Bergen (allerdings überwiegend Buche) und sowjetischer Architektur. Und noch zwei Klöster mehr…

Haghpat
Haghpat

Kurz vor der georgischen Grenze komme ich nochmals zu einem Höhepunkt: die Klöster Sanahin und Haghpat, gelegen am Rand der Debed-Schlucht, in der tief unten die Minenstadt Alaverdi vor sich hin raucht. Armenische Kirchen sind oft auf einem griechischen Kreuz als Grundriss gebaut, mit einem kegelförmigen Dach über der Kuppel der Vierung. Davor steht meist ein angebauter Glockenturm oder eine Vorkirche mit einem weiten, #-förmigen Gewölbe und einem Boden aus Grabsteinen. Innen sind die Kirchen schlicht und düster, nur selten sind verblasste Fresken erhalten. Beide, Sanahin und Haghpat, haben mehrere Kirchen, eine Bibliothek, Refraktorium und weitere Gebäude, darum stehen Chatschkars, kunstvoll behauende Kreuzsteine. Haghpat, mit seinen verschachtelten Dächern und Kuppeln ist vermutlich das schönste der Klöster Armeniens. Das düstere Innere und der Geruch nach Vogelscheiße erinnert mich merkwürdig an indische Tempel.

Sanahin
Sanahin

Unten in Alaverdi steht eine geschwungene mittelalterliche Brücke, auf deren Geländer vier Steinlöwen sitzen. Wenn ein richtiger Mann die Brücke überquere, so heißt es, werden sie lebendig. Hat es also seit Jahrhunderten keine richtigen Männer in Armenien gegeben? Ich bin nicht überrascht, dass sie auch bei mir still liegen bleiben. Allerdings finde ich, dass sie nicht wie Löwen aussehen. Fast eher wie Frösche. Vielleicht ist ja etwas in der Geschichte falsch und man muss sie Wirklichkeit wach küssen? Doch auch das hat nicht funktioniert…


Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Bergisch Karabach

Wanderung auf dem Janapar-Trail durch die ruppige Enklave Nagorny Karabach

Die selbst ernannte Republik Nogorno Karabakh wird von niemandem anerkannt, laut Völkerrecht ist sie noch immer ein Teil von Aserbaidschan. De facto ein von Armenien besetzter Teil und für die hier lebenden ist es 100% armenisch und schon immer armenisch gewesen. Da gibt es nichts zu diskutieren. Das ist eine gewagte These, da es ein Unabhängiges Armenien auch nicht sonderlich oft gegeben hat. Die Azeris und Kurden sind freilich seit dem Krieg nicht mehr hier. Auch nach über 10 Jahren Waffenstillstand stehen hier noch viele zerschossenen Hausruinen und an der Frontlinie knistert es wohl noch immer.

Das komische ist, dass für mich Azeris und Armenier einander ziemlich ähnlich sind, abgesehen natürlich von der Religion, die aber bei beiden an Bedeutung verliert. Wenn ich an die Goldzähne denke, die Kebabs, die Kopftücher der älteren Frauen (nur in abgelegenen Dörfern), die Mode der Jüngeren… aber so etwas sagt man besser nicht zu laut.

Die Enklave ist aber auch ein Symbol für eine wilde Abgeschiedenheit, von der die Einstürzenden Neubauten singen als:

in der Enklave meines Herzens
in der ich mich verlier
in Nagorny Karabach

Um dem gleich zu tun, wandere ich zwei Tage auf dem Janapar-Trail, der laut Lonely Planet „well marked“ in 14 Tagen von Sueden nach Norden führe. So „well marked“ ist er dann doch nicht, kaum aus dem Dorf Ptretsik hinaus hören die Wegzeichen auf. Es geht durch wunderschöne wilde Buchenwälder aufwärts, oben schauen kleine Felsen aus den Wipfeln. Je höher ich komme, desto schwieriger ist es, den Weg zu finden, da er sich immer wieder auf einer Wiese verliert. Aber richtig schwierig wird es erst auf der anderen Seite des Passes, wo ich mich durch dichtes Brombeeren- und Brennesselgestrüpp schlagen muss, wenn ich gerade einmal nicht den „Weg“ verloren hatte. Die zweite Etappe war dann wesentlich einfacher. Ich komme auch an einem verfallenen Kloster vorbei, das auf einem Hügel liegt. Im Hof hängt im Baum ein vor sich hin faulender Schafskopf, auch ein Schädel und Schafsbeine. Offensichtlich vorchristliche Traditionen, die sich in den „neuen“ Glauben gemischt haben.

Endlich komme ich zum Kloster Gandzasar, dass ich allerdings nicht so beeindruckend fand wie so manche in Armenien. Angeblich liegt unter der Kirche der Kopf von Johannes dem Täufer, den hatte nämlich der Erbauer von einer Pilgerreise nach Jerusalem mitgebracht. Vermutlich gab es im 13. Jh. so etwas in den dortigen Souveniershops zu kaufen…


Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Tatev und Noravank

Klöster im Süden von Armenien

Noravank
Noravank

An den Rand einer tief in die Berge eingeschnittenen Schlucht klammert sich wie ein Adlerhorst auf einer kleinen Plattform aus Basaltsäulen das von Mauern umgebene Kloster Tatev. Hinter der Schlucht mit steilen Wäldern und hohen Kalkfelsen reicht der Blick bis zu den Bergen von Karabach. Zu schön, um wahr zu sein? Allerdings. Um das ganze etwas zu abzumildern, steht neben der Klosterkirche ein rostiger Baukran und fast über das Kloster hinweg spannen sich die surrenden Drähte mehrerer Hochspannungsleitungen, die einem unweigerlich durchs Blickfeld hängen.

Tatev
Tatev

Unten in der Tiefe, wo die Schlucht am engsten ist, führt die Straße über die Satansbrücke. An der Seite austretendes Mineralwasser hat hier so viel Kalksinter abgelagert, dass sich eine 30 m breite natürliche Brücke gebildet hat. Eine Leiter führt hinunter zum Fluss, wo man in kleinen Grotten voller Tropfsteinen in natürlichen Becken im Mineralwasser baden kann. Schwimmend folge ich dem Fluss durch den Tunnel. Die Schlucht abwärts ist zunächst weglos, ich gehe über Geröll, durch Gestrüpp oder wate durch das Wasser. Unzählige Libellen schwirren umher, grasgrüne Frösche springen um ihr Leben. Auch hier gibt es Tümpel, aus denen Mineralwasser und Gas aus tritt, aber die sehen weniger appetitlich aus, schwarz-braun, voller Algen. Bald komme ich auf einen Pfad, weniger beschwerlich folge ich diesem bis zu der überwucherten Ruine eines Klosters.

Goris, von wo die Straße Richtung Karabach abzweigt, sieht aus wie ein winziges Stück Kappadokien, das sich hierher verirrt hat.

Noravank
Noravank

Noravank ist ein weiteres Kloster, wunderschön gelegen in einer Schlucht mit roten Felswänden. Da das Hotel im nächsten Städtchen verriegelt und verrammelt war (ich höre später, ich hätte die Hintertür nehmen sollen), genieße ich, wie das Licht der tief stehenden Sonne die verspielte Fassade der Kirche und die Felsen der Schlucht zum leuchten bringt und rolle dann irgendwo unten in der Schlucht meinen Schlafsack aus. Sonderlich gut schlafe ich allerdings nicht, vor allem das Rascheln und Poltern, von dem sich am Morgen herausstellt, dass es Gämsen sind, reißt mich immer wieder aus dem nicht gerade tiefen Schlaf.

Noravank
Noravank

 

Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2

Yerevan

In der Hauptstadt von Armenien

Kaskade
Kaskade

Blickt man über die Hauptstadt Armeniens, so breiten sich vor einem die Blocks aus Sowjetzeiten aus, grauer Beton und rosa Kalktuff, dazwischen prunkvolle Paläste der Diktatur des Proletariats, die sich im Dunst verlieren. An klaren Tagen, die selten zu sein scheinen, ragt dahinter der majestätische Ararat auf. Das Bild wirkt so unwirklich, als habe dort hinten jemand eine riesige Fototapete ausgerollt.

Auf den Plätzen wird jedes Stückchen von teuren Cafés ausgenutzt, die nach einem Besuch in den Kunstmuseen locken.

Genozid-Mahnmal
Genozid-Mahnmal

Im Genozid-Mahnmal erfahre ich eingehend, wie die Türken im 1. Weltkrieg die „armenische Frage“ lösen wollten, indem sie 1,5 Millionen Menschen um brachten. Damals kämpften Armenier auf russischer Seite, weil sie eine Unabhängigkeit vom osmanischen Reich erhofften. In der Folge wurden Armenier in Massen in die syrische Wüste getrieben, wo sie überfallen wurden, wenn sie nicht bereits verdurstet waren. Andere wurden ertränkt oder erschossen, oft von Spezialeinheiten, die aus zu diesem Zweck freigelassenen Kriminellen bestanden. Das mit der Türkei verbündete Deutschland meinte dazu, es handle sich um eine interne Angelegenheit des osmanischen Reiches.

Garni
Garni

Von Yerevan ist es nicht weit zum hellenistischen Tempel in Garni, der spektakulär über einer Schlucht mit hohen Basaltsäulen thront. Er erinnert daran, dass Armenien nach dem Zusammenbruch der hellenistischen Reiche (und vor dem Aufstieg Roms) seine größte Ausdehnung erreichte: bis nach Syrien. Vom Tempel etwas die Schlucht aufwärts liegt ein besonders schönes Kloster, Geghard. Es gibt noch einige weitere Klöster in der Umgebung, am Rand von Schluchten, auf einem Hügel vor dem Ararat (soweit er im Dunst zu ahnen ist) usw., ich sehe auch die schöne Kathedrale von Echmiatsin, die der Sitz des armenischen Patriarchen ist.

Hovhannavank
Hovhannavank

 

Weiterlesen


Florian Neukirchen
Nahöstlicher Diwan
Unterwegs zwischen Teheran und Tel Aviv
ISBN 978-3-89514-925-2