
Die Hohe Tatra (Slowakei und Polen) ist ein winziges Hochgebirge, in dem zackige Granitberge mit hohen Wänden über unzähligen Bergseen aufragen. Vor einigen Jahren hatte ich in einer grandiosen dreitägigen Wanderung die Hohe Tatra von Nord nach Süd durchquert, musste dann aber aus familiären Gründen den Trek abbrechen. Was ich damals — insbesondere auf slowakischer Seite — verpasst habe, wollte ich dieses Jahr nachholen. Rund eine Woche reicht aus, um nahezu jedes Hochtal zu erkunden.

Ich reiste per Zug nach Zakopane (Polen) an und nahm dann morgens einen Minibus (Richtung Morskie Oko) bis zum Grenzübergang Lysá Pol’ana. Nach einem kurzen Stück auf der Straße bog ich in Tatranská Javorina in das Tal ab, das die Hohe Tatra von der Belaer Tatra trennt, und stieg bei Nebel und Regenschauern zum Pass Kopské sedlo auf. Das Wetter wurde zum Glück genau in dem Moment besser, als ich oben ankam und ein Stück weiter in einen weiten Talkessel wechselte, an der westlichsten Ecke der Hohen Tatra. Wenig später erreiche ich die in einem spektakulären Talabschluss an einem See gelegene Hütte Chata pri Zelenom plese. Am späten Nachmittag besteige ich noch den Aussichtsberg Jahňací štít: direkt neben mir die hohe Granitwand des Lomnický štít, rechts im Hintergrund reicht der Blick bis Rysy, Kriváň und Świnica (und damit bis ans andere Ende des kleinen Gebirges). Und auf der anderen Seite die Kalkberge der Belaer Tatra.

Nach einem stimmungsvollen Morgen am See steige ich auf der Tatra-Magistrale (einem klassischen Fernwanderweg, der auf mittlerer Höhe am Rand des Gebirges entlangführt) den benachbarten Rücken auf, stecke dort allerdings wieder im Nebel. Es geht, wieder unterhalb der Wolken, zu einer von Touristen umwuselten Seilbahnstation und, immer leicht absteigend am Hang entlang, weiter zum nächsten Taleingang. Hier zweige ich von der Tatra-Magistrale ab und steige durch das Tal Mala Studena dolina auf. Am Nachmittag sitze ich an einem der Seen im Talkessel, bevor ich in leichter Kraxelei über die Scharte Priečne sedlo ins benachbarte Tal Velka Studena dolina wechsle. An weiteren, im oberen Ende dieses Tals verstreuten Seen vorbei erreiche ich die Hütte Zbojnicka chata.


Da der Wetterbericht mir nur noch einen guten Tag verspricht, breche ich früh morgens auf und steige zur Prielom-Scharte auf. Hier öffnet sich — durch die Felsen etwas eingeschränkt — der Blick auf den Gerlach, den höchsten Berg der Tatra. Es geht ein wenig in das Tal auf der Nordseite des Gebirges abwärts und gleich wieder zum nächsten Pass hinauf. Von hier steige ich auf den Aussichtsberg Východná Vysoká auf, mit großartiger Rundumsicht.

Es geht das Tal abwärts bis zu einem an einem See gelegenen Berghotel, ab dem ich wieder auf die Tatra-Magistrale treffe. Auf dieser geht es zu einem weiteren, auf der Südseite des Gerlach gelegenen Sees, und weiter bis zu einem weiteren guten Aussichtspunkt, Ostrva, einem Bergrücken hoch über dem See Popradské pleso. Zu diesem steige ich ab, und wandere noch bis Štrbské Pleso, einem ebenfalls an einem See gelegenen, aber nicht allzu hübschen Ferienort. Da hier die Preise vergleichsweise hoch sind, nutze ich die Zahnradbahn und komme im Tal in Štrba unter.

Den Tag mit dem schlechtesten Wetter verbringe ich in der Stadt Poprad. Eine Tageswanderung führt mich von Štrbské Pleso auf den Kriváň, aber außer Wolken und Nebel ist leider nichts zu sehen. Etwas mehr Glück habe ich bei einer weiteren Wanderung durch die beiden oberhalb von Štrbské Pleso gelegenen Hochtäler, über die Scharte Bystrá lávka.

Am ersten Tag mit richtig gutem Wetter nehme ich eine der ersten Bahnen — vor Sonnenaufgang — nach Štrbské Pleso, wandere wieder beim Popradské pleso vorbei und steige zum Rysy auf. Ich war allerdings nicht der einzige, der sich früh auf den Weg gemacht hat. An einer Steilstufe mit Leiter hat sich schon ein regelrechter Stau gebildet, und auf dem für seine grandiose Aussicht berühmten Doppelgipfel musste ich mich durch die Menschenmassen zwängen, um ein noch freies Plätzchen zu erreichen.
Auf der polnischen Seite stieg ich wieder ab, wobei ich meist etwas abseits der Ketten über die steilen Felsplatten abstieg, während neben mir immer mehr Menschen aufwärts hangelten. An einem besonders schönen Aussichtspunkt auf halber Höhe machte ich eine lange Mittagspause, unter mir die Seen Czarny Staw pod Rysami und Morskie Oko (Meerauge). Als ich später an den Seen ankam, war dort ein derartiger Trubel, dass ich mich beeilte, weiterzukommen. Ich stieg noch ins Fünfseental auf und übernachtete in der dortigen Hütte.

Es folgte ein weiteres Zwischentief, mit strömendem Regen am Morgen. Kurzerhand beschloss ich, eine weitere Nacht zu bleiben und das Tal zu erkunden. Als es etwas besser wurde, stieg ich zum Aussichtsberg Szpiglasowa Przełęcz, auf dem ich genau den richtigen Moment erwische: Für kurze Zeit reißt es auf und gibt den Blick auf all die Seen und Berge der Umgebung frei — wenige Stunden später verschwinden die Berge wieder in Wolken.

Endlich beginnt eine Hochwetterlage, was aber auch einen erheblichen Nachteil hat: Über die Wanderwege wälzen sich Menschenmassen, die Hütten sind überfüllt und selbst in Zakopane kann ich keine günstige Unterkunft mehr buchen. Ich steige auf den Gipfel des Świnica auf, der die Nordwestecke der Hohen Tatra bildet, schlage einen Bogen über den See Zielony Staw Gąsienicowy nach Hala Gąsienicowa Rówienki, wo es ein paar hübsche Holzhäuser mit Bergen im Hintergrund gibt. Mit Aussichten auf den Giewont erreiche ich Kuznice, von wo ich das letzte Stück die Straße entlang bis Zakopane gehe.
